Archiv

Piraten

Nach einem Bericht des Hamburger Abendblatts soll es in der Hamburger Innenstadt bald „Internet für alle und überall“ geben. Zahlreiche Medien kopieren die Geschichte unkritisch, die SPD feiert die Ankündigung kräftig ab, und sich selbst gleich mit.

Warum das Angebot aus Kundensicht alles andere als frei und universell verfügbar ist, wird bei der Elbmelancholie ausführlich beschrieben: Es geht um Telekom-Hotspots, die nur eine Stunde kostenlos genutzt werden können, und dann nur mit Zwangsregistrierung, und (dank Störerhaftung) Pauschalüberwachung der Nutzer.

Um sich in diesem zweifelhaften Glanz doch noch irgendwie zu sonnen, jubelt der SPD-Netzpolitiker Hansjörg Schmidt auf seiner Homepage, dass man „einen sehr großen Erfolg vermelden“ könne. Vorgezeigt wird statt echter Veränderungen (die nur auf Bundesebene möglich sind) immer wieder eine Bundesratsinitiative der Hamburger SPD.

Diese Initiative der SPD wurde bereits direkt nach ihrer Vorstellung vor etwas über einem Jahr von Fachleuten kritisiert, unter anderem von der Piratenpartei Hamburg und der und der Digitalen Gesellschaft. Sie stellten klar, dass die SPD-Initiative nur kommerziellen Anbietern hilft und ihnen Zensur- und Erfassungstechnik vorschreibt, um sich von der Haftung bei Urheberrechtsverstößen freizukaufen. Privatleute mit offenen WLANs und Initiativen wie Freifunk, die bewusst auf das Identifizieren ihrer Nutzer und das Sperren von Inhalten verzichten, sollen weiterhin schutzlos der Abmahnmafia ausgesetzt bleiben. Inzwischen ist die Initiative gescheitert.

Fassen wir zusammen:

  • Die SPD bringt eine erfolglose Bundesratsinitiative ein, die kommerzielle Anbieter mit Erfassungs- und Filtertechnik von der Haftung befreit, Privatnutzern und Freifunk-Initiativen aber kein Stück weiterhilft.
  • Die Drosselkom kündigt an, kostenpflichtige Hotspots mit Zwangsregistrierung in Hamburg zu installieren.
  • SPD-Netzpolitiker sprechen von einem „sehr großen Erfolg“. Hä?

In seinem Blog weist Hansjörg Schmidt übrigens als Verteidigung gegen die o.g. Kritik darauf hin, dass der Freifunk Hamburg zu einer Expertenanhörung in der Bürgerschaft eingeladen war. War er auch: von der Linksfraktion. (Nachtrag: Das ist nicht richtig – Hansjörg Schmidt hat als Ausschussvorsitzender die Sachverständigen eingeladen.)

Zum Wahlkampfauftakt der Piratenpartei Hamburg am 10. August 2013 habe ich eine Rede zur Asylpolitik in Deutschland und der Position der Piraten gehalten. Die Rede kann auch beim Hamburger Piratenradio Trollfunk angehört werden.

Die Asylpolitik in Deutschland ist seit einer Generation, nämlich seit über 20 Jahren, eine Perversion ihrer selbst, denn in Deutschland gibt es praktisch kein Asyl mehr.

Als das Grundgesetz geschrieben wurde, wurde die Maxime etabliert, dass politisch Verfolgten in Deutschland Zuflucht zu geben. Das geschah vor dem Hintergrund hunderttausender Menschen, denen es gelungen war aus Deutschland überallhin in die Welt vor dem Naziregime zu fliehen.

Aber gerade als wieder große Umwälzungen in Europa passiert sind, Anfang der 90er-Jahre, fand sich eine unheilvolle Große Koalition zusammen, die das Asylrecht in Deutschland faktisch abgeschafft hat.

Zehntausenden, die Zuflucht gesucht haben vor Kriegen, die von wahnsinnigen Nationalisten auf dem Balkan angezettelt wurden, wurde die Tür vor der Nase zugeschlagen.

Für den sogenannten Asylkompromiss, der im Bundestag mit einer breiten Mehrheit beschlossen wurde, beglückwünschten sich Politiker wie Hans-Dietrich Genscher, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Günter Verheugen und – ja – Wolfgang Thierse.

Zur selben Zeit hetzten und mordeten Nazi-Banden in Rostock-Lichtenhagen, Mölln, Soligen und anderswo. Die deutsche Politik ist fast durch die Bank vor dem Fremdenhass eingeknickt.

Die Piratenpartei will diese Schande zurückdrehen und die unhaltbaren, unmenschlichen Zustände und Vorgänge in deutschen Asylunterkünften und Ausländerbehörden wieder rückgängig machen.

Heute an diesem Tag, hier auf den Straßen von Hamburg, sind Menschen gestrandet, die auf der Flucht vor Krieg und Hass zum Spielball der Festung Europa und den zankenden Regierungen geworden sind, die auf dem Rücken der Schwächsten ihre politischen Machtspielchen austragen.

Die Gruppe Lampedusa in Hamburg ist eine von vielen in Deutschland, die nach Jahrzehnten der Demütigung und Ausgrenzung laut werden und ihre Menschenrechte einfordern.

Viele Menschen haben zurecht verlangt, Edward Snowden solle als politisch Verfolgtem Asyl zu gewähren. Die traurige Wahrheit ist aber, dass ich es niemandem wünschen kann, dem deutschen Asylsystem gegenüberzustehen.

Die Piratenpartei fordert, Schluss mit Massenunterkünften mitten im Nirgendwo, die ohne Aussicht auf Unterstützung, Bildung und Kontakt zur Bevölkerung allein der Isolation dienen, und die dank Residenzpflicht schon mit einer Bahnfahrt in die nächste Stadt Menschen zu Kriminellen machen kann.

Die Piratenpartei fordert, Schluss mit Schnellverfahren, unverständlichen Formularen, Bescheiden und Aufenthaltstiteln. Asylverfahren müssen fair ablaufen, mit Rechtsbeistand, Übersetzungshilfe und der Möglichkeit, Unterstützung zu finden.

Die Piratenpartei fordert, Schluss mit Arbeitsverboten, Abschiebehaft und Abschiebungen, die nur dazu dienen, Menschen verzweifeln zu lassen und für ihre Flucht zu bestrafen.

Wir wollen nicht in einem Land leben, das sich feige hinter seinen Nachbarländern versteckt und auf jede erdenkliche Weise zeigt, dass Fremde nicht willkommen sind.

Wir wollen vor Krieg und Verfolgung Zuflucht Suchende willkommen heißen, sie aufnehmen und ihnen ihre Menschenwürde zurückgeben, und ihnen die Hilfe gewähren, die wir als eines der reichsten Länder der Welt gewähren können.

Angesichts der Gefahren und Demütigungen, denen Menschen ausgesetzt sind, weil sie das vermeintlich falsche Geschlecht lieben, die vermeintlich falsche Muttersprache oder Hautfarbe haben, oder auf der vermeintlich falschen Seite einer Grenze geboren wurden, kann ich nicht untätig zusehen, wie sich das Land in dem ich lebe von der Welt und Schutzsuchenden abschottet.

Ich bin froh, dass ich in diesem Kampf die Piratenpartei dabei auf meiner Seite weiß. Und ich sehe es da hinten an den Hafenhäusern, und ich bin dankbar, dass es einen großen Platz im öffentlichen Raum hat: Kein Mensch ist illegal!

Für die Hamburger Stadtteilzeitung Quer Borgfelde habe ich einen Text als Selbstvorstellung geschrieben, den ich hier auch in meinem persönlichen Blog veröffentlichen möchte:


Dass ich für die Piratenpartei kandidiere hat viele Gründe, aber eine gute Zusammenfassung bietet die Piraten-Formel „Politik aus Notwehr“. Ich stelle mir oft die Frage, ob meine Mitmenschen und mich eine lebenswerte Zukunft erwartet. Anstatt mich aber nur zu beklagen, möchte ich selbst etwas gegen die vielen Missstände und Fehlentwicklungen tun. Ich möchte eine bunte Zukunft, die Vielfalt und persönliche Sicherheit für jeden Menschen bietet, und kein graues Dasein in Überwachung und Existenzangst.

In den letzten zehn Jahren hat sich unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung ein ungeheuerliches Maß an Überwachung durch Sicherheits- und Geheimdienste breitgemacht. Die Daten aller Bürger, ob verdächtig oder nicht, werden dauerhaft gespeichert und können jederzeit ohne nennenswerte Hürden abgerufen werden. So kann jeder in Verdacht geraten, egal ob er meint, etwas zu verbergen zu haben oder nicht. Die Vertraulichkeit von Seelsorge, ärztlicher Versorgung, Rechtsbeistand und intimer Kommunikation ist gefährdet, und wenn die gehorteten Daten in falsche Hände geraten, wird praktisch jeder Mensch erpressbar.
Auf der anderen Seite wird der Einsatz von Internet und moderner Technik für persönliche, kreative und gemeinnützige Zwecke an allen Ecken und Enden sabotiert. GEMA-Sperren, Abmahnungen für offenes WLAN, gedrosselte und überteuerte Verbindungen und unsinnige Rechtsvorschriften führen dazu, dass Deutschland im Bereich der neuen Medien eines der rückständigsten Länder ist.

Wir erleben darüber hinaus eine Arbeitsmarktpolitik, die am längst verflossenen Märchen von der Vollbeschäftigung festhält. Viele Menschen haben Schwierigkeiten, sich in der Arbeitswelt zurechtzufinden, die sich nur noch für junge und genormte Menschen mit unendlicher „Flexibilität“ interessiert. Ältere Menschen, Kranke und solche, die Verantwortung für Kinder oder Angehörige tragen, werden nicht unterstützt, sondern mit undurchschaubaren Regelungen belästigt und mit sinnlosen Sanktionen bestraft.
Wir brauchen stattdessen einen Mindestlohn und das bedingungslose Recht auf Teilhabe an der Gesellschaft. Es wird nie wieder einen traditionellen Arbeitsplatz für alle Menschen geben. Deutschland kann es sich leisten, trotzdem niemanden auf der Strecke zu lassen.

Die deutsche Politik stiehlt sich außerdem aus ihrer Verantwortung vor den Schwächeren in der Welt. Aus Angst vor Fremdenfeindlichkeit wurde das Asylrecht in Deutschland vor 20 Jahren praktisch abgeschafft. Heute erleben wir die Ausgrenzung und Abschiebung sowohl von Menschen in Not, als auch von Menschen, die in Deutschland ein erfülltes Leben führen.
Wir brauchen ein Umdenken und eine Abkehr von der Abschottung Deutschlands und Europas. Abschiebungen sind falsch und müssen sofort aufhören. Wir brauchen die doppelte Staatsbürgerschaft, und es muss endlich in allen Ecken Deutschlands in den Köpfen ankommen, dass Menschen verschiedenster Religionen, Hautfarben und Muttersprachen zu unserer Gesellschaft gehören.

Das sind nur drei der Themen, die mich bewegen. Auch in den Bereichen Korruption, Transparenz, Wohnungsbau, Familienpolitik und anderswo gibt es etliche Probleme und viele mögliche Lösungen. Es genügt eben nicht, sich zu beklagen.